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Netto-Null: Ein Ziel für das Jahr 2162?
Von Thilo Spahl, 27. März 2025
Wie lange dauert es bis zur sogenannten Klimaneutralität? Der neue Energie-Jahresbericht der Bank J.P. Morgan gibt Aufschluss über das tatsächliche Tempo der globalen Energiewende.
Wie geht es weiter in der deutschen Energiepolitik? Union und SPD wollen die Strompreise um mindestens fünf Cent pro Kilowattstunde senken. Dazu sollen die Stromsteuer auf den in der EU erlaubten Mindestwert reduziert und die Übertragungsnetzentgelte halbiert und dauerhaft gedeckelt werden. Für die energieintensive Industrie wird ein wettbewerbsfähiger Industriestrompreis angestrebt. Um die Nachfrage nach Elektroautos anzukurbeln, soll ein neuer „Kaufanreiz“ geschaffen werden. Es gibt ein Bekenntnis zum entschlossenen Ausbau von Solar- und Windenergie.
Die Energiepolitik der kommenden Regierung besteht also darin, die Strompreise zu senken, nicht aber die Kosten. Vielmehr sollen diese durch das Festhalten an der grünen Dystopie, die Energieversorgung komplett auf Sonne und Wind umzustellen, weiter in die Höhe getrieben werden. Bezahlt wird wahlweise mit Steuern oder Schulden, also den Steuern von morgen. Um besser einschätzen zu können, was wir hier tun, hilft ein Blick auf das große Ganze. Den bietet das von Michael Cembalest verfasste J.P. Morgan Energy Paper, dessen 2025er Ausgabe gerade erschienen ist. Er beginnt mit den Worten: „Die Solarkapazität boomt weltweit, sowohl im Versorgungsbereich als auch bei privaten Anwendungen, und wird oft von Energiespeichern begleitet, deren Kosten ebenfalls sinken. Trotz der 9 Billionen Dollar, die in den letzten zehn Jahren weltweit in Windkraft, Solarenergie, Elektrofahrzeuge, Energiespeicherung, elektrifizierte Wärme- und Stromnetze investiert wurden, verläuft der Übergang zu erneuerbaren Energien immer noch linear; der Anteil der erneuerbaren Energien am Endenergieverbrauch steigt langsam um 0,3 % bis 0,6 % pro Jahr.“
Was bedeutet das für das berühmte Netto-Null-Ziel? Da der Anteil fossiler Energieträger an der Energieerzeugung heute bei 82 Prozent liegt, werden wir, falls wir das Tempo der letzten 12 Jahre halten können, irgendwann im Zeitraum zwischen dem Jahr 2162 und dem Jahr 2299 bei null sein. Mit „wir“ ist hier die Welt gemeint. Wenn wir dagegen die Ziele Deutschlands – oder sagen wir: die Ziele der Bundesregierung – betrachten, dann ist es bekanntlich das Jahr 2045. Wir dürfen uns nur nicht beirren lassen.
Zum Beispiel dürfen wir uns nicht vom neuen US-Energieminister Chris Wright beirren lassen. Der hat kürzlich gesagt, was unsere vorbildliche Klimapolitik seiner Meinung nach bedeutet: „Wir haben viel zu viel Produktion ausgelagert, und unsere Verbündeten in Europa sind in dieser zerstörerischen Richtung noch viel weiter gegangen. Ich finde es traurig und ein wenig ironisch, dass die einst mächtige Stahl- und petrochemische Industrie Großbritanniens nach Asien verlagert wurde, wo die gleichen Produkte mit höheren Treibhausgasemissionen hergestellt und dann auf einem dieselbetriebenen Schiff zurück nach Großbritannien verschifft werden. Das Endergebnis sind höhere Preise und weniger Arbeitsplätze für die Bürger des Vereinigten Königreichs, höhere globale Treibhausgasemissionen – und all das wird als Klimapolitik bezeichnet.“ Die neue US-Regierung setze auf Reindustrialisierung statt Deindustrialisierung, auf den Ausbau der Infrastruktur, auf den Ausbau der Energieversorgung auf Basis fossiler Energieträger, aber auch auf eine „lang ersehnte amerikanische Renaissance der Kernenergie, sowohl der Kernspaltung als auch der Kernfusion“. Und auf Geothermie.
Die Deindustrialisierung ist noch nicht so weit fortgeschritten
Merz hat andere Pläne. Er setzt auf die Fortsetzung des rot-grünen Kurses. Denn unter dem scheidenden Klimaminister hat Deutschland bekanntlich große Erfolge gefeiert. Habeck sagte kürzlich, die vergangenen drei Jahre würden wohl als „Wendepunkt“ in der deutschen Klimapolitik wahrgenommen. Dies sei durch harte „Kärrnerarbeit“ seines Ministeriums erreicht worden. Er verwies unter anderem auf große Fortschritte beim Ausbau der erneuerbaren Energien und eine „Trendwende“ im Gebäudesektor. ZDF heute schreibt: „Gute Nachrichten in Sachen Klimaschutz: Deutschland hat laut dem Umweltbundesamt 2024 sein Klimaziel erreicht.“ Mit anderen Worten: Deutschland ist in Sachen Deindustrialisierung auf einem sehr guten Weg…